Verschwundene Dinge

Grußwort Dr. Stephan Bachter

Am 29. April 2020 um 19 Uhr sollte im Rathausfoyer von Unterschleißheim die diesjährige Sonderausstellung des Stadtmuseums eröffnet werden. Mit „Von Henkelmännern, Wäschestampfern, und Musikkassetten. Sachgeschichten von verschwundenen Dingen“ hatten wir diese Schau angekündigt. Der Titel enthält ein irritierendes Paradox. Wie kann etwas ausgestellt werden, das verschwunden ist? Entweder, oder? Nun ist es geradezu die eigentliche Aufgabe von Museumsleuten, Hüter verschwundener Dinge zu sein und sie zu bewahren, zu erforschen, sie zu restaurieren, sie zu erklären und der Öffentlichkeit zu zeigen. Denn das sollte klar sein: die Dinge verschwinden nur aus der Öffentlichkeit, sie verschwinden aus dem alltäglichen Gebrauch, aber sie verschwinden (von wenigen Ausnahmen wie der Bundeslade oder dem Heiligen Gral einmal abgesehen) niemals ganz. Unsere Museumsdepots sind voll von verschwundenen Dingen!

Es ist der Corona-Pandemie geschuldet, dass unsere Sonderausstellung über verschwundene Dinge nun selbst aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Mehr noch: sie musste aus ihr verschwinden, denn unsere Sonderausstellungen sind immer auch eine Attraktion, also ein Anziehungspunkt, um das Unterschleißheimer Rathaus zu besuchen. Das braucht es aber in Zeiten eines grassierenden Virus nicht. Das Rathaus ist für den Publikumsverkehr geschlossen.

Allerdings haben wir Museumsmenschen auch in Krisenzeiten das Bedürfnis zu zeigen, was wir haben und damit Unterhaltung, Inspiration, Selbstvergewisserung, Aha-Erlebnisse zu liefern und dem ein oder anderen ein Lächeln auf’s Gesicht zu zaubern. Wir verzichten nicht gerne auf unsere Königsdisziplin, die Sonderausstellung. Also fiel vor Ostern die Entscheidung, heuer unsere Sonderausstellung vom Rathausfoyer in den auch nicht immer virenfreien Raum des Internets zu verlegen und auf einer eigens geschaffenen Internetseite den Inhalt unseres diesjährigen Ausstellungsprojekts zu zeigen: www.verschwundene-dinge.de.

Diese Entscheidung bedeutet eine (hoffentlich) inspirierende Ausstellung für alle, nicht nur für die Besucher des Rathauses. Jeder weltweit kann nun sehen, was wir gemacht haben. Greifen wir Erwartungen korrekt auf, übersehen wir keine Themen, liefern wir genügend Themen für Gespräche über alle Grenzen hinweg, für Gespräche unter den Fragestellungen „Weißt Du noch?“ „Was war das?“ „Echt jetzt?“ Es sind ja gerade solche Gespräche zwischen den Generationen, in den Zeiten der Seuche natürlich fernmündlich, die unsere Ausstellung anregen will. Ich hoffe, das gelingt uns.

Die Realisierung dieses Projekts war nur möglich durch die Beteiligung meines volkskundlichen Kollegen und langjährigen persönlichen Freundes Dr. Andreas Garitz. Es waren seine Kompetenzen, als Sachvolkskundler und Technikhistoriker ebenso wie als Mediengestalter, die die Idee einer online Ausstellung überhaupt Wirklichkeit werden ließen. Vermutlich mag nur die kleine Bruder- und Schwesternschaft der Museumsleute wirklich zu ermessen, was Du hier geleistet hast. Aber ich bin sicher, viele, viele unserer Besucher werden sich über Dein Werk freuen. Danke, Andreas!. Das was entstanden ist, ist in weiten Teilen Dein Werk!

Diese Ausstellung konnte in der kurzen Zeit, mit dieser Intensität nur außerhalb der üblichen Verfahrenswege eines verwaltungsmäßig eingebundenen Museumsbetriebs entstehen. Dafür, dass wir diesen neuen Weg einschlagen durften, danke ich der Leiterin des Forum Unterschleißheim, Daniela Benker, der das Museum wieder einmal Herzensangelegenheit war.

Mein Dank gilt meinen Mitarbeitern, Diplom-Museologin Anna Strübel, Maximilian Pank, Andi Jirmann, Ludwig Geier, Emil Schwarzer und Johann Kirner, die das Projekt auf vielfältige Weise vor Ort und im Homeoffice, unterstützt haben.

Dem Museumsleiter bleibt nur noch übrig zu sagen: Bienvenue, Welcome, die Ausstellung ist eröffnet!

Grußwort Dr. Andreas Garitz

Eigentlich sollte ich für Dr. Stephan Bachter und das Stadtmuseum in Unterschleißheim nur ein paar Objekte aus meiner Sammlung heraussuchen, mit interessanten Texten versehen und neben anderen Exponaten in die Vitrinen einer Ausstellung mit dem Titel "Verschwundene Dinge" stellen. Doch es kam ganz anders. Das Problem mit Corona begann und die Möglichkeiten, Menschen in begehbare Räume zu bringen und ihnen Objekte in eigener Anschauung vor Augen zu führen, sanken auf Null.

Das war der Moment, in dem mein langjähriger Fachkollege und Freund Dr. Stephan Bachter, mit dem ich nicht nur das ungefähre Alter, sondern auch einen Faibel für Kurioses, längst Ausgemustertes und früher mal Relevantes in Form von "Gerümpel" und "Kleinodien des Alltags" teile, die Idee einer Online-Ausstellung zur Option stellte. Da war ich gerne dabei. Ich hatte bereits Erfahrung mit dem Bau von Websites, hatte für mein "Augsburger Gedönsmuseum" und das "Rekord Café" bereits eine museale, sachkulturelle Datenbank begonnen und freute mich sehr, an so einem Projekt inhaltlich und gestalterisch teilhaben zu dürfen.

Wie das Ergebnis geworden ist, darüber mögen andere urteilen, ich möchte aber vor allem auf den Umstand hinweisen, dass die Seiten, die Sie hier besuchen, in der Zukunft in ständiger Bewegung sein sollen: die Zahl der Exponate soll stetig wachsen, die Texte sollen permanent ergänzt werden und auch Ihre Mithilfe ist gewünscht. Senden Sie doch einfach Vorschläge an uns, was Sie von früher her noch kennen, was für Sie früher einmal wichtig war und heute vergessen ist, was Sie vermissen und gerne nochmal wiedersehen würden. Wir bauen das gerne ein.

Wichtig sind uns vor allem die Lebenswelten, die sich mit den Dingen verbinden. Im Vordergrund stehen hier nicht die technische Aspekte oder die design- und firmengeschichtlichen Entwicklungen von Produkten und Marken, sondern die Erinnerungen, welche die Menschen mit der Sachkultur ihre Vergangenheit verbinden. Schreiben Sie auf, was Sie damals an Ihrem neuen Radio bewegt hat, warum sie Ihr erstes, eigenes Auto besonders fasziniert hat oder wie Ihnen Ihr erste Handy geholfen hat, die Welt um Sie herum neu zu vernetzen.

Ich freue mich, Teil eines großartigen Projektes sein zu dürfen und danke besonders dem geschätzten Fachkollegen und Dozenten Dr. Stephan Bachter, der (wie ich glaube) wie ich noch zur "alten Schule" der historisch-empirischen Volkskunde gehört und mit dem ich viele Ansichten über unser Fach und dessen Forschungsgegenstände teile. Ferner gilt mein Dank rückwirkend der alten, heute so leider nicht mehr existenten "münsteraner Schule" um die Professoren Hinrich Siuts und Günter Wiegelmann, dem großartigen, damaligen Lehrbeauftragten und heutigen Mainzer Professor Michael Simon und auch ganz besonders meinen damaligen Mitstudenten Carsten Vorwig und Heike Lützenkirchen, die heute "hohe Tiere" im Freilichtmuseum Kommern und im Stadtmuseum Euskirchen sind und mit denen ich im Studium viele, viele sachkulturelle Studien und Arbeiten gemeinsam durchführen durfte. Das war meine Welt, bevor ich mich in eine eher unvolkskundliche Selbständigkeit begab. Es ist wunderschön, wieder zurück zu sein. Danke!

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