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Spritzdekor: Avantgarde am Kaffeetisch
Suprematismus für Jedermann
von Andreas Garitz
Sachkultur ist ein Indikator gesellschaftlich-kultureller Entwicklungen und Zustände. Das gilt natürlich auch für die Form und Gestaltung von Keramik. Insbesondere in der Weimarer Republik spiegelt sich das in einem Aufbruch des Dekors in moderne Zeiten jenseits aller Blümchenornamentik der Vergangenheit.
Angeregt von Reformbewegungen wie dem Bauhaus oder dem deutschen Werkbund wurden in der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen und Hausrat neue Wege gegangen. Auch die Designkünstler und Hersteller der Gebrauchs- und Kunstkeramik griffen zunehmend die Ideen des modernen Industriedesigns zurück und versuchten, diese in ihrem Metier angemessen umzusetzen. Sehr zeitgemäße, geometrische Spritzdekore wurden bald von beinahe allen Keramikmanufakturen im Reichsgebiet entworfen und Services im Formenkanon der modernen und abstrakten Kunst angeboten, manchenorts bezog man sich in der gestalterischen Sprache gar direkt auf den russischen Suprematismus, der schon seit 1915 mit Dekoren auf Kaffekannen und Tortenplatten experimentiert hatte.
Erst die Nazizeit mit ihrer Ablehnung der klassischen Moderne und dem zunehmenden Drang zur "Vervolkung" der Kunst und des Gebrauchsdesigns setzte dem ein Ende. Doch bis in die frühen 40er Jahre hinein sollte auf Omas gedecktem Nachmittagstisch noch so manche Kaffeekanne mit der Handschrift von Kandinsky oder Malewitsch Platz gefunden haben.
Vergleiche auch: Uranglasuren
Lit.: Buddensieg, Tilmann, Keramik in der Weimarer Republik 1919 - 1933, Die Sammlung Tilmann Buddensieg im Germanischen Nationalmuseum, photographiert von Wolfgang Volz, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg 1985.