Uranglasuren: Steingut mit Strahlkraft
Nicht schön, aber üppig und selten
von Andreas Garitz
Während der Weimarer Republik wurden, angeregt von Reformbewegungen wie dem Bauhaus oder dem deutschen Werkbund, in der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen und Hausrat neue Wege gegangen. Auch die Keramik veränderte sich, ihre Designkünstler und Hersteller griffen zunehmend die Ideen des modernen Industriedesigns auf und versuchten, diese in ihrem Metier angemessen umzusetzen. Sehr zeitgemäße, geometrische Spritzdekore wurden bald von beinahe allen Keramikmanufakturen im Reichsgebiet adaptiert und Services im Formenkanon der modernen und abstrakten Kunst angeboten, manchenorts bezog man sich in der gestalterischen Sprache gar direkt auf den russischen Suprematismus, der schon seit 1915 mit Dekoren auf Kaffekannen und Tortenplatten experimentiert hatte.
Seit den 30er Jahren erfreuten sich daneben die zuvor bereits in den USA populären Gefäße mit Uranglasuren einer gewissen Beliebtheit und so entstanden auch hier bald Formen, die der klassischen Moderne und dem Stil des Art Deco entnommen waren. Hersteller waren in Deutschland vor allem Rosenthal, Villeroy & Boch und die Carstens-Gruppe mit gut einem Dutzend Produktionsstätten. Die dünnen, glasartigen Uranglasuren enthielten einen Anteil an radioaktivem Uran und wurden auf die keramische Körperoberfläche geschmolzen, um dieser eine harte und glatte Konsistenz mit vornehmlich kräftiger grün/gelb/orange/brauner Färbung zu verleihen. Im Gegensatz zum weitaus problematischeren, phosphorartig leuchtenden Uranglas war Steingut oder Steinzeug mit dem uranhaltigem Überzug bei mäßigem Gebrauch nicht bedenklich, nichts desto trotz aber seit den 1980er Jahren nicht mehr zulässig.
Die Tendenz zur Moderne währte aber leider nicht allzu lange. Schon nach der zweiten Hälfte der 30er Jahre nahm die Gestaltung der Formen und Dekore wieder zunehmend Abstand von der Moderne und näherte sich der biedereren Volkskunst an. Neben den genormten, sehr einfachen Stapelwaren der Nazizeit entwickelte sich analog zum klobigen "Dampferstil" der Möbel eine zunehmend wuchtiger und überladener werdende Uran-Keramik mit üppigen Lauf- und Lava-Glasuren in eher unbescheidenen farbig-floralen Dekoren. Klare und einfache graphische Gestaltungen und Linien waren spätestens nach den Jahren 37/38 wieder fast vollständig von einem eher grob-kleinbürgerlichen Verständnis von Kunst- und Gebrauchskeramik verdrängt.
Einige der hier zusammengestellten Exponate stellen nach heutigen Geschmackskriterien für den ein oder anderen Betrachter sicherlich eine optische Zumutung dar, aber sie gehören ebenso zur musealen Vergangenheit und sind für jeden Sammler obligatorisch, wie es die Spritzdekore oder die berühmten Bunzlauer- und Bürgeler Waren sind. Natürlich sind vor allem die ersten Stücke dieser Gattung hochbegehrt, die noch den Geist des späten Art Deco in sich trugen (Abb. 1 und 2), aber wie so oft muss man auch in diesem Fall nicht alle älteren Waren für großartig und alle späteren Exponate automatisch für atemberaubend schrecklichen Kitsch halten. Die Übergänge von kubistisch und abstrakt angehauchten Schalen, Dosen und Gefäßen mit geometrisch strengen Griffen, Tüllen oder Füßen, hin zu langsam sich aufplusternden, immer dickwandiger erscheinenden Gefäßen und dann schließlich zu aufgeblähten, blütenartigen Knotengebilden sind im Bereich der Uranglasurkeramik fließend. Und wenn man sich einmal dran gewöhnt hat, vermögen sogar die gigantischen Auswüchse einiger der Exponate zumindest von der Idee her zu gefallen. Man muss sich nur ein bisschen Mühe geben oder zumindest Spaß am Irrwitz haben.
Exponate
Deckeldosen, 1930er Jahre
Deckeldosen, noch in den Grundformen des Art Deco, glasiertes Steingut, links vermutlich (C&E) Carstens um 1930, Privatbesitz Augsburg.
Obstschale, um 1935
Obstschale, schwulstig-florales Design, "Orchidee 2", glasiertes Steingut, Carstens Graefenroda vermutlich nach 1935, Privatbesitz Augsburg.
Obstschale, Unterseite
Die Füße und andere Elemente sind angesetzt....
Obstschale, Detail
....die Farben aufgeschmolzen.
Deckeldose, um 1930
Deckeldose, schwulstiges Design mit aufgesetzten, floral gestalteten Wulsten, glasiertes Steingut, Serie "Franken", Carstens Georgenthal um 1937, Privatbesitz Augsburg.
Deckeldose, um 1930, Detail
Die floralen Wülste bilden zugleich den Deckelgriff...
Deckeldose, um 1930, Unterseite
...sowie die Standfüße (die für besseren Halt nicht glasiert sind).
Bier-Deckelkrüge, um 1930
Bierkrüge mit Zinnmontierung (fehlt rechts), florales Muster mit Darstellungen von Hopfenpflanzen, glasiertes Steingut, o.O. vermutlich nach 1935, Privatbesitz Augsburg.
Bier-Deckelkrüge, Seitenansicht
Neben häufiger zu findenden Weinkrügen oder Bowlegarnituren mit Uranglasuren wurden so wie hier ausgeführte Bierkrüge (mit Montierungen) etwas seltener gefertigt.